Die Lenk- und Ruhezeiten sind immer wieder ein Streitpunkt, doch wenn es zu einem Verkehrsunfall mit Lkw-Beteiligung kommt, ist der Anteil der Schwerverletzten oder Getöteten daran mit etwa 30 Prozent überdurchschnittlich hoch.
Inhalt
- Lkw-Unfälle mit schweren Folgen
- Untaugliche Mittel
- Konsequenzen für Frachtführer und Spediteure
- Lenk- und Ruhezeiten: Bessere Kontrolle eingefordert
- Digitalisierung für effizientere Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten
- Datenschutz verhindert automatische Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten
Aktuell: Der neue digitale Tachograph DTCO 4.0
Vorweg eine aktuelle Information: oft taucht die Frage auf, ob der neue Digitale Tachograph DTCO 4.0 die aufgezeichneten Lenk- und Ruhezeiten bei der Prüfung im Vorbeifahren überträgt. Dies kann man im Detail hier nach dem Videoclip nachlesen.
1. Lkw-Unfälle mit schweren Folgen
Kein Wunder, denn wo ein 40-Tonnen-Fuhrwerk ungebremst auf ein Stauende prallt, gleicht der Unfallort einem Trümmerfeld, dessen Anblick auch hartgesottene Rettungskräfte zutiefst bewegt. Zu diesem traurigen, gleichwohl nicht überraschenden Ergebnis kam der Jahresbericht der Versicherer „Unfallforschung der Versicherer 2017“.
Überforderung der Fahrer
Die immer noch zu hohe Zahl an verschuldeten Unfällen mit Lkw-Beteiligung ist neben technischen Mängeln, Überladung oder falsch gesicherter Ladung vor allem der Überforderung der Fahrer geschuldet. Im zitierten Jahresbericht äußerten zwei Drittel der befragten Lkw-Fahrer, wöchentlich mehr als 50 Stunden zu arbeiten.
Lenk- und Ruhezeiten als Problem
Bleibt das Arbeitszeitvolumen auf eine einzelne Woche beschränkt, stellt es keinen Verstoß gegen die geltenden Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten dar.
Schließt sich aber eine zweite oder gar dritte Woche mit gleicher Arbeitszeit an, ist die gesetzlich vorgeschriebene Lenkzeit von maximal 90 Stunden der Doppelwoche überschritten. Und werden zudem die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht eingehalten, führt dies unweigerlich zur Übermüdung der Fahrer.
Im Jahresbericht gaben etwa ein Drittel der Fahrer an, Probleme bei der Einhaltung der vorgeschriebenen Pausen zu haben.
Die Lenk- und Ruhezeiten sind im Fahrpersonalrecht und hier insbesondere in der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des EU-Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr geregelt.
2. Untaugliche Mittel
Obschon Lkw über Assistenzsysteme mit Notbremsfunktion verfügen, verringern die elektronischen „Wächter“ die Zahl der Unfälle kaum.
Kein Wunder, denn die Systeme werden von den Fahrern nicht selten deaktiviert. Schließlich behindern sie jedes Überholmanöver, für welches der Windschatten des vorausfahrenden Trucks genutzt wird. Oder sie sorgen für stetiges Ungemach in Staus, wenn sich Pkw-Fahrer in die knappen Lücken vor die Lkws drängeln und das Assistenzsystem eine abrupte Bremsung einleitet.
Nicht zuletzt auch, um Fahrern die Möglichkeit zu geben, ihre Wochenruhezeiten optimal gestalten zu können, hat der Europäische Gerichtshof unlängst beschlossen, dass diese künftig nicht mehr in der Fahrerkabine, sondern in Hotels (Gesetzlicher Begriff: eine „geeignete Schlafmöglichkeit“) verbracht werden sollen. Ob sich das in der Praxis umsetzen lassen wird, bleibt abzuwarten.
Sicher ist, dass diese Regelung der Hotelbranche nutzen wird. Zumindest den autobahnnahen Häusern, die über ausreichend große Parkplätze für Lastzüge verfügen. Das dürften so viele allerdings nicht sein.
3. Konsequenzen für Frachtführer und Spediteure
Der Gesetzgeber belegt die Überschreitung der Lenkzeit der Lenkzeitunterbrechungs- und Ruhezeiten nicht nur mit Bußgeldern in empfindlicher Höhe. Für die Nichteinhaltung der Vorschriften werden neben den Fahrern zudem die Unternehmen zur Kasse gebeten. Im Falle eines Unfalls können sie sogar in die Haftung genommen werden.
So ist der Frachtführer verpflichtet, eine realistische und den jeweiligen Verkehrsbedingungen angepasste Tourenplanung vorzunehmen. Sind die Vorgaben und Termine zu knapp bemessen, sind keine Staus oder anderweitige Verzögerungen einkalkuliert oder wird dem Fahrer gar mit Konsequenzen gedroht, wenn er nicht pünktlich liefert, lädt das zur Missachtung der Vorgaben geradezu ein.
4. Lenk- und Ruhezeiten: Bessere Kontrolle eingefordert
Die Bemühungen der EU-Verkehrsminister, die Sozialstandards für Lkw-Fahrer durch gleichen Lohn für alle und strengere Auslegung der Lenk- und Ruhezeitregelungen wie beispielsweise die wöchentliche Ruhezeit außerhalb des Führerhauses anzugleichen, wirken wenig, wenn ihre Durchsetzung nicht auch hart kontrolliert wird. Gemäß einer Umfrage bei den zuständigen Landesbehörden erfolgen Kontrollen in Deutschland je nach Bundesland in höchst unterschiedlicher Intensität. So werden Lkw in Baden-Württemberg durchschnittlich alle 31.000 Kilometer, in Sachsen indes nur alle 160.000 Kilometer von der Polizei überprüft. „Die besten Rahmenbedingungen sind sinnlos, wenn nicht darauf geachtet wird, dass sie eingehalten werden“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kirsten Lühmann in einem Artikel der Verkehrsrundschau vom 8. November 2018.
Verstöße sollten bereits in den Unternehmen geprüft werden
Die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten sind per Gesetz auch in den Unternehmen selbst zu überprüfen. Die regelmäßige Speicherung, Archivierung sowie das Auslesen der Fahrerkarten- und Massenspeicherdaten gehören zu den Pflichten eines jeden Speditionsunternehmens.
Kommt es zu Lenk- oder Ruhezeit-Verstößen, sind die Fahrer entsprechend zu belehren. Zwar stehen den Unternehmern dazu moderne Flottenmanagement Software wie beispielsweise FleetVisor von Astrata oder TIS-Web von VDO zur Verfügung.
Offen bleibt indes, ob hier nicht manchmal der Bock zum Gärtner gemacht wird. Nach deutschem Recht wird allerdings der „Bock“ für fahrpersonalrechtliche Verstöße in aller Regel mit einem dreimal höheren Bußgeld belegt als der Fahrer.
5. Digitalisierung für effizientere
Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten
Eine Lösung könnte sich mit der neuen Tachographen-Verordnung (EU) 165/2014 abzeichnen. Sie sieht vor, dass alle ab dem 15. Juni 2019 neu zugelassenen Lkw mit einem so genannten intelligenten, digitalen Tachographen ausgerüstet sein müssen.
Die neue Tachographen-Generation wird es erlauben, Fernkontrollen am fahrenden Lkw vorzunehmen. Im Verdachtsfall werden die betreffenden Fahrzeuge dann einer genaueren Untersuchung unterzogen.
„Mithilfe einer DSRC-Schnittstelle wird ein bestimmter Datensatz an die DSRC-Leser vorbeifahrender Kontrollbeamte oder an eine entsprechende Infrastruktur wie beispielsweise am Straßenrand übermittelt“, sagt Frank Schmidt, Produktmanager bei VDO. Das Unternehmen hatte auf der IAA im September 2018 seinen neuesten intelligenten Tachographen, den DTCO 4.0, vorgestellt.
„Es werden aber lediglich Fahrzeugdaten und Informationen über Sicherheitsverletzungen oder Fehlfunktionen abgefragt“, erklärt Schmidt. Nur wenn eine Unregelmäßigkeit aufgedeckt wird, würden die jeweiligen Lkw angehalten, fährt Schmidt fort. Eine „automatische Bestrafung im Vorbeifahren“ wird es nicht geben.
Eine Liste der Verdachtsfälle und mehr zum DTCO 4.0 finden Sie hier.
Die mobile Abfragemöglichkeit wird es den Kontrollbehörden zwar nicht ermöglichen, Unregelmäßigkeiten bei den Lenk- und Ruhezeiten im Vorbeifahren zu erkennen. Wohl aber hilft die neue Tachographen-Technologie künftig, schwarze Schafe leichter zu identifizieren und damit das gesamte Kontrollwesen effizienter zu gestalten. Mit Blick auf die dünne Personaldecke bei den Kontrollbehörden ist diese Teil-Digitalisierung der Prüfprozesse sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, eröffnet sich einem schnell das Potenzial der Digitalisierung für mehr Sicherheit. So könnten sogar mit DSRC Leser ausgestattete Schilderbrücken künftig Fahrzeuge an die Kontrollbehörden weitermelden, deren Tachographen verdächtige Daten übermitteln.
6. Datenschutz verhindert automatische
Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten
Heute verhindert allerdings noch der Datenschutz, dass Fahrer und Speditionen, die sich nicht an die Lenk- und Ruhezeitenregelung halten, automatisch identifiziert und sanktioniert werden können.
Die überwiegende Zahl der im neuen DTCO 4.0 gespeicherten Datensätze – darunter vor allem die Daten aus der Fahrerkarte mit den Angaben zu Lenk- und Ruhezeiten – sind nämlich als „persönlich“ klassifiziert. Sie dürfen erst aus dem Cockpit gegeben werden, wenn der Fahrer diese freigegeben hat.
Es mag diskutabel sein, inwieweit der Schutz von persönlichen Daten über den Schutz von Leben gestellt werden dürfte.
Am Ende würden von einer großzügigeren Auslegung auch die Fahrer und Transportunternehmen profitieren, die sich gesetzeskonform verhalten. Die Digitalisierung einer von Zeit- und Kostendruck geprägten Transport- und Logistikbranche hätte so nicht nur faireren Wettbewerb zur Folge. Sie brächte vor allem mehr Sicherheit auf die europäischen Straßen.
Bildnachweis: © shutterstock – Titelbild welcomia, #1 Vytautas Kielaitis