Die digitalisierte Welt, wie wir sie kennen, steht in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu unseren geopolitischen Verhältnissen und der weltwirtschaftlichen Lage. Dass diese beiden Einflussfaktoren bereits seit einigen Jahren die Halbleiter-Branche unter Druck setzen, ist bekannt. Doch wie genau sieht der Ist-Zustand aus? Und wie kann es weiter gehen? Wir starten mit einem kurzen Rückblick, schauen dann auf die aktuelle Situation. Abschließend wagen wir eine Prognose.
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet Sie in diesem Artikel
In der jüngeren Vergangenheit
Schauen wir in diesem Abschnitt kurz auf einige Gründe für das heute so schwierige Thema ‚Halbleiter-Engpass‘. Diese Faktoren haben in der jüngeren Vergangenheit unsere aktuelle Situation vorbereitet.
Geopolitische Lage initiierte Hamsterkäufe
Spätestens seit Corona wissen wir: kündigt man die Verknappung eines Gutes an, werden die Betroffenen versuchen, sich einen Vorrat anzulegen. In Bezug auf unser Thema war das verknappende Gut der Halbleiter. Die Betroffenen: China.
Donald Trump drohte während seiner Amtszeit mit Sanktionen in der Halbleiter-Industrie. Der Hintergrund ist hier nicht entscheidend. Wichtiger jedoch: Chinesische Unternehmen nahmen diese Drohung ernst und deckten sich ein. Nicht nur Chips und Rohstoffe wurden im Übermaß gekauft. Auch technische Anlagen für die Fertigung wurden förmlich gehamstert. Da China jedoch damit dem Markt die Grundlage für die Halbleiter-Produktion entzog, stand der Rest der Welt folglich ohne die Notwendigkeiten da, um den Bedarf der Industrie zu decken.
Homo Digitalis: Die technisierte Zivilisation und ihr hoher Halbleiter-Bedarf
Donald Trump war jedoch nicht alleine für den Beginn der Halbleiter-Krise verantwortlich. Der Mensch sieht sich dieser ausgesetzt, weil der Bedarf einfach immer größer wird. Wir statten Kaffeemaschinen mit immer mehr digitalen Features aus. Autos sind praktisch fahrende Computer und annähernd jeder scheint ein Smartphone zu haben.
Dieser Zustand stagniert jedoch nicht. Ganz im Gegenteil. Die digitale Menschheit ist auf einen Zug aufgesprungen, der vorerst keinen Zwischenhalt auf dem Plan hat. Warum sollte das auch passieren. Schließlich ist die Digitalisierung nicht nur wirtschaftlich sehr ertragreich. Der Mensch profitiert auch in Sachen Bequemlichkeit. Doch auf diesem Weg limitiert sich die digitale Entwicklung selbst.
Wachsender Bedarf wurde nicht kompensiert
Man könnte nun meinen: Dann bauen wir halt mehr Halbleiter. Und ja, das wäre die Lösung. Das ist aber nicht passiert. Zum einen sind geopolitische Vorkommnisse, wie das oben Erwähnte hinderlich am Ausbau der Produktion. Zum anderen fehlen die Ressourcen. Zum Beispiel hat China auch die Verfügbarkeit von Silizium eingeschränkt – auch hier hamsterte das asiatische Land aus Angst vor Verknappung.
Die Gegenwart: Es wird nicht besser
Während die chinesische Angst vor Verknappung bei den westlichen Nationen zu einer tatsächlichen Verknappung der notwendigen Materialien führte, ist bis jetzt der Bedarf an Halbleitern weiter gestiegen. Der Mangel ist so groß, dass große deutsche Autobauer die Produktion zeitweise aussetzen müssen. So verkündete das Unternehmen Mercedes Benz: „Wir fahren auf Sicht.“ Das bedeutet, es wird nur produziert, solange Material da ist. Ansonsten wird die Produktion eingestellt.
Die Corona-Pandemie befeuert den Halbleiter-Bedarf
Mit Home-Schooling, Home-Office und allen digitalen Alternativen, um Social Distancing zu ermöglichen, stieg in den letzten Jahren der Bedarf an digitalen Endgeräten. Und diese leben nun einmal von der Halbleitertechnologie. Diese Situation besteht noch immer und verbessert die Lage auf dem Halbleiter-Markt ganz und gar nicht.
Reinhard Ploss ist Chef des Prozessor-Herstellers Infineon und sieht den Sachverhalt wie folgt:
- „[…] jetzt wollen wir aufholen. Und da trifft sich alles, so dass wir einen ganz unerwarteten Mehrbedarf an Chips haben. Darauf war keiner vorbereitet. Und jetzt langt die Kapazität nicht. Das andere ist natürlich damit jedem klar geworden, dass wir von Asien abhängig sind.“ (Quelle: 25.10.2022; gekürzt)
Zulieferer der Halbleiter-Produktion als Faktor der aktuellen Situation
Unser derzeit sehr hoher Bedarf gewinnt an schwere, dadurch, dass die Chemie-Zulieferer nicht nur den Halbleiter-Markt ausstatten. Unternehmen wie BASF leben zwar teilweise von der Versorgung der Chip-Hersteller. Dennoch haben sie auch andere Standbeine. Und die sind nicht minder wichtig. Da die Kapazitäten auch bei diesen Unternehmen bis zum oberen Rand ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft sind, bliebe nur eine Lösung: Ein neues Werk bauen. Das wiederum ist aber nicht ohne weiteres zu realisieren.
Geopolitische und ökonomische Herausforderungen der Gegenwart
Während die Inflation ihre Kreise zieht und allmählich auf nahezu allen Sektoren die Preise anzieht, ist da noch die Energiekrise. Als hätten wir mit der globalen Erwärmung nicht bereits genug zu tun, gesellt sich nun die Knappheit bei fossilen Brennstoffen hinzu. Letzteres ergibt sich unter anderem aus der brüchigen Beziehung zu Russland und den aktuellen Geschehnissen an den Nord-Stream-Pipelines.
Grüne Energie: Nur mit Halbleitern
Nun liegt die Annahme nahe, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben und damit die Abhängigkeit von Gas, Öl und Atomenergie zu reduzieren. Grüne Energie kann aber nur mit Hilfe von Halbleitern erzeugt werden. Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft. All das benötigt digitale Technik, die wiederum Halbleiter nutzt.
Reinhard Ploss dazu:
- „[…] die gesamte Energiewende, hin zum Grünen, das wird nur möglich sein, wenn wir viel mehr erneuerbare Energien, elektrische Energien vor allen Dingen, haben, die dann auch ins Netz eingespeist werden. Also, wir sind überall bei den wichtigen Themen dabei.
- […] dass man elektrisch fahren kann, der Strom in die Batterie, der Strom von der Batterie so zum Motor, dass der möglichst effizient viele Kilometer aus der gleichen Batterieladung macht, das sind wir. Und so sieht man eigentlich, überall sind wir mittendrin.“ (Quelle : 25.10.2022; gekürzt)
Mit seinem letzten Statement bringt Ploss auch ein weiteres aktuelles Thema auf den Plan: Elektromobilität. Natürlich sind die Autobauer auch in dieser Hinsicht stark von dem Halbleiter-Mangel betroffen. Wo dies bei Verbrennern der Fall ist, ist es das bei Elektro-Autos allemal.
Die Prognose: Mittelprächtig bis schlecht
Was Reinhard Ploss in dem Deutschland-Funk-Interview anspricht, ist die ernüchternde Realität. Grüne Energie braucht Halbleiter, doch Halbleiter sind schwer zugänglich. Und dieser Zustand scheint auch erst einmal anzuhalten. So prognostiziert das Unternehmen Volkswagen, noch über Jahre unter dem Engpass zu leiden. Dennoch kann von minimaler Entspannung gesprochen werden. Denn die Knappheit ist stellenweise weniger drastisch als noch zuvor.
Bau von Produktionsstätten langwierig, teuer und möglicherweise nicht rentabel
Eine pragmatische Lösung für die Halbleiter-Krise scheint zu sein, einfach mehr Produktionsstätten zu schaffen. Dieser Träumerei macht die Realität jedoch sehr schnell einen Strich durch die Rechnung. Denn der Bau ist extrem kostspielig.
Gegenüber der Augsburger Allgemeine sagte der Experte Jan-Peter Kleinhaus, dass die Kosten für eine solche Fabrik um die 15 Milliarden Euro betragen. Er weist auch darauf hin, dass dabei ein gewaltiges Risiko für die Investoren besteht. Denn wenn eine solche Fabrik nicht oberhalb einer Auslastung von 80 bis 90 Prozent genutzt wird, fährt diese Verluste ein. Doch Kleinhaus schiebt noch nach, dass zum Beispiel in den Vereinigten Staaten und Taiwan sowie Südkorea derzeit solche riskanten Projekte umgesetzt werden. Vielleicht ist ja das ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Halbleiter-Branche.
Fazit
Was bleibt zu sagen? Kleinhaus Blick auf das Geschehen bezüglich der Halbleiter-Produktion stimmt ein wenig positiv. Ob das jedoch ausreichen wird, um die Situation dauerhaft und gänzlich zu entschärfen bleibt abzuwarten. Insgesamt zeichnet sich ein Bild, das zeigt, dass Krisen wie diese nicht auf einen einzigen Umstand zurückzuführen sind.