Seit Jahren spricht die deutsche Politik über die notwendige Förderung des Personenverkehrs und des Schienengüterverkehrs als ökologisch sinnvollere Alternative speziell zum Frachttransport auf der Straße. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass das Verkehrsaufkommen auf Deutschlands Strassen und Schienenwegen in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Eine jüngst von der Allianz Pro Schiene und der Unternehmensberatung SCI veröffentlichte Studie zeigt jedoch, dass die Investitionen in Deutschland im europäischen Vergleich bestenfalls im hinteren Mittelfeld liegen.
Rekordinvestitionen ins deutsche Schienennetz
Dabei gab die Deutsche Bahn über ihren für die Infrastruktur zuständigen Vorstand Roland Pofalla Anfang des Jahres bekannt, dass 2018 dieses Jahr 9,3 Milliarden Euro in das Schienennetz und in die Modernisierung von Bahnhöfen fließen soll. Den Löwenanteil der Summe bringt dabei der Bund auf. Außerdem will die Bahn trotz der Bauarbeiten an vielen wichtigen Streckenabschnitten, etwa zwischen Würzburg und Passau oder im Norden zwischen Hamburg, Hannover, Göttingen und Bremen die entstehenden Verspätungen deutlich verringern.
Die Investitionen verteilen sich wie folgt:
- 5, 5 Milliarden Euro für Erneuerung und Instandhaltung von 1600 Kilometer Gleisen, rund 220 Brücken und über 1700 Weichen
- 2, 6 Milliarden Euro zum Neu- und Ausbau von Bahnstrecken
- 1, 2 Milliarden Euro für die Modernisierung von 700 Bahnhöfen
Das ist zwar für deutsche Verhältnisse eine Rekordsumme, aber im europäischen Vergleich immer noch eher wenig. Zudem bevorzugt Deutschland bei den Investitionen immer noch die Straße zu Lasten der Schiene, obwohl Experten für die nahe Zukunft ein Wachstum des Güterverkehrs gerade dort erwarten.
Allianz Pro Schiene hält Bahninvestitionen für zu niedrig
Die Studie von Allianz Pro Schiene und SCI vergleicht die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur von Deutschland mit denen anderer großer Wirtschaftsnationen in Mittel- und Westeuropa. Deutschland gab im vergangenen Jahr 67 Euro pro Einwohner für sein Schienennetz aus. Der Spitzenreiter Schweiz lag bei 362 Euro pro Einwohner. Den dritten Platz belegte Österreich mit 187 Euro, gefolgt von Schweden mit 183 Euro pro Einwohner. Selbst Großbritannien mit seinem eher noch chaotischeren Eisenbahnwesen wendet 165 Euro pro Einwohner auf. Hinter Deutschland liegen nur noch Belgien und Spanien.
Für die Allianz Pro Schiene wäre ein Betrag von 80 Euro pro Kopf ausreichend, um den Erhalt der bestehenden Infrastruktur zu gewährleisten und gleichzeitig den Neu- und Ausbau sichtbar voranzutreiben: „Die mageren Jahre hat unser Schienennetz zwar hinter sich, aber von einer echten Trendwende des Bundes lässt sich trotz der Rekordinvestitionen für 2017 immer noch nicht sprechen“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege anlässlich der Präsentation der Studie in Berlin.
„Obwohl die Politik parteiübergreifend eine dynamische und zukunftsweisende Bahnpolitik will, reichen die Aufwendungen nicht für eine Verkehrswende“, so Flege. Die Politik bevorzuge weiterhin den Straßenbau, während Österreich und die Schweiz, die genauso wie Deutschland Transitländer für den Fernverkehr sind, seit Jahren in die Schiene investierten.
Das führt zu der paradoxen Situation, dass zwar jedes Jahr mehr Reisende die Bahn nutzen und auch die Nachfrage nach Frachtkapazitäten größer wird, die Deutsche Bahn aber nur unzureichend reagiert. So kommt die von der Politik angestrebte Verlagerung des Frachtverkehrs auf die Schiene nicht voran. Der Schienengüterverkehr ist sogar rückläufig und sorgte in diesem Jahr dafür, dass der Gewinn der Deutschen Bahn hinter den Erwartungen zurückblieb. Die Verkehrsleistung der Güterbahn DB Cargo sank um 6, 7 Prozent. Zur Zeit beträgt der Anteil des Schienengüterverkehrs am Güterverkehr 18 Prozent.
Wo es im deutschen Schienennetz hakt
Ein Grund dafür liegt dafür liegt darin, dass so genannten Gigaliner, Güterzüge mit einer Länge von 740 Metern, im deutschen Schienennetz nur eingeschränkt fahren können. Oft fehlen Überholgleise in der richtigen Länge, oder Signalanlagen stehen nicht an der richtigen Stelle. Also können nur elf Prozent der Züge in dieser Länge fahren.
Große Frachtbahnen sehen in einem von Gigalinern durchgängig nutzbaren Netz einen deutlichen Gewinn von Effizienz und Produktivität, ebenso ökologische Vorteile. Gutachten an die Bundesregierung geben ihnen Recht und schreiben einem 740-Meter-Bahnnetz einen Nutzen zu, der das 4,8fache der aufgewendeten Kosten beträgt. Die Bundesregierung hat nun das Programm zur Beseitigung der Engpässe im Bedarfsplan nach vorne geschoben und 405 Millionen Euro dafür angesetzt. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde es vom potentiellen Bedarf in den bevorzugten Bedarf gehoben. Und immerhin hat die DB Netz AG mit den Planungen begonnen. Allerdings muss der Bundestag über jedes einzelne Projekt entscheiden, was das 740-Meter-Netz wiederum in Konkurrenz zu anderen Verkehrsprojekten bringt.
Ein weiteres Problem sind die zahlreichen nicht elektrifizierten Grenzübergänge. Von 67 Grenzübergängen sind 25 elektrifiziert, die meisten von ihnen zu den Nachbarn im Westen und Süden. In die Tschechische Republik und nach Polen führen nur jeweils ein elektrifizierter Grenzübergang.
Politische Fehlsteuerung führt zur Dauerkrise der Bahn
Die Verantwortung für die Situation liegt sowohl bei der Bahn als auch bei der Politik. Letztere bevorzugt seit vielen Jahren die Straße. Über längere Zeiträume wurde Infrastruktur abgebaut und die Instandhaltung vernachlässigt. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) setzte dieses Jahr durch, dass in Zukunft auch 25-Meter-Riesenlastzüge auf deutschen Autobahnen fahren dürfen, die jedoch ebenfalls überlastet sind.
Die Bahn hat weiterhin große Probleme mit Zugverspätungen und Zugausfällen, die durch die zahlreichen Baustellen verursacht werden. Ein besonderes „Lagezentrum Bau“ sollte dafür sorgen, dass die Bahnkunden möglichst wenig von den Wirkungen der Baumaßnahmen zu spüren bekamen. Und Anfang des Jahres versprach die Unternehmensleitung noch, die Zahl von Ausfällen und Verspätungen zu senken, aber stattdessen sind die Zahlen gestiegen.
Güterbahn-Unternehmen unzufrieden mit DB-Baustellenmanagement
Bereits im Februar 2018, also kurz nach Pofallas Ankündigungen, hatte das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen die bei ihm organisierten Güterbahn-Unternehmen nach der Situation des Baustellen-Managements der DB Netz AG befragt. Die Umfrage zeichnete ein düsteres Bild der Lage:
So gäben DB-Mitarbeiter widersprüchliche Fahrpläne heraus und stimmten die Auswirkungen von zwei Baustellen netzintern nicht miteinander ab. Auch gäbe es fragwürdige Umleitungsanordnungen, bei denen Güterzüge mit E-Lok über nicht elektrifizierte Strecken geleitet würden. Das Chaos findet sich laut Umfrage sogar in der Personalplanung wieder. Häufig seinen Mitarbeiter und ihre in der Abwesenheitsnotiz genannten Vertreter gleichzeitig im Urlaub. Auch fehlten Mitarbeitern die nötigen Kenntnisse, um Bauverfahren und ihre Auswirkungen auf den Güterbahnverkehr einzuschätzen. Die Bahn behilft sich mit Kosmetik: Ausgefallene Züge werden nicht mehr in der Pünktlichkeitsstatistik erfasst, sondern nur noch verspätete Züge.
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sich die vielen Bauvorhaben und Maßnahmen wie die Senkung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr positiv bemerkbar machen.
Bildnachweis: ©Shutterstock – Titelbild: S-F, – #01: canadastock; Infografiken: ©Allianz Pro Schiene mit Daten des BMVI, VöV, BMVIT, SCI Verkehr GmbH
2 Kommentare
Die Bahn macht die Rechnung wie leider allzu häufig ohne die Unternehmen, die sie eigentlich bedienen soll. Gigaliner sind schon im Lkw-Verkehr auf Gegenwehr gestoßen.
Wer möchte denn bitte, dass diese Züge einen Bahnübergang für längere Zeit völlig dicht machen? Die Idee an sich mag gut sein, doch die praktische Umsetzung hapert gewaltig.
Wenn es bisher nur möglich ist, dass rund elf Prozent aller Giga-Züge überhaupt fahren können und dann noch nicht einmal sicher ist, welche Waren von der Lkw-Laderampe auf den Güterwaggon kommen können, ist die Sache schlichtweg noch nicht ausgegoren. Unsere Nachbarn wie Dänemark und Frankreich zeigen zwar, dass es geht, denn dort sind die Züge mittlerweile schon 800 m lang.
Und es funktioniert!
Die Deutsche Bahn mag ebensolche Vorstellungen hegen. Aber mal ehrlich: Züge, die wie in Frankreich geplant einen Kilometer lang sind? Wie lange sollen wir noch am Bahnübergang warten, wenn die Schranken sich einige Zeit vor dem Zug schließen und erst viele Minuten nach dessen Durchfahrt wieder öffnen?
Vielleicht braucht die Bahn ganz neue Konzepte und vor allem neue Vermarktungsstrategien, um ihre Ideen massentauglich zu machen. Kommunikativer Austausch und digitale Transformation, das sollten die Bereiche sein, in denen die DB verstärkt agiert.
Absolut. Man könnte sagen, dass die Lücke zwischen Vorstellung und Realität bei der DB weit auseinanderklafft. Es scheint mir manchmal so, dass die Anbieter in anderen – zum Teil weniger weit entwickelten – Ländern besser aufgestellt sind und es irgendwie besser hinbekommen.