Die Corona-Pandemie stellte Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen vor Herausforderungen – einige davon waren, wie die Entwicklung der seither stattgefundenen Insolvenzen aufzeigt, für die jeweiligen Betriebe unüberwindbar. Speziell die Logistikbranche hat nach wie vor mit den Nachwehen zu kämpfen, wie Erhebungen von Destatis aufzeigen.
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Logistikbranche in der Krise: Überdurchschnittliche Insolvenzen gefährden das wirtschaftliche Netzwerk
Demnach ließen sich im Januar 2024 branchenübergreifend 4,7 Insolvenzen pro 10.000 Unternehmen erfassen, die Logistik- und Verkehrsbranche siedelte sich mit 9,1 Insolvenzen pro 10.000 Unternehmen aber weit über diesem Durchschnitt an. Die Anzahl der Mehr-Insolvenzen steigt aber bereits seit Jahren auf zweistelligem Niveau an. Die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht während der Corona-Pandemie durchbrach den Trend kurzzeitig, sorgte aber zugleich für einen rasanten Anstieg nach Wiederaufnahme der Pflicht.
Insolvenzen in der Logistik wiegen aus ökonomischer Sicht typischerweise schwerer als solche in anderen Branchen: Denn die Logistiker agieren als Bindeglied zwischen einer ganzen Reihe von weiteren Unternehmen, Wirtschaftsvertretern und Endverbrauchern, sowohl im nationalen als auch internationalen Umfeld. Das erschwert zugleich die Abwicklung im Ernstfall. Bewährte Strategien und maßgeschneiderte Konzepte zur Restrukturierung und Unternehmenssanierung mit anschließender Fortführung können eine Lösung sein, aber auch nicht in pauschal jedem einzelnen Fall.
Die Ursachen von Insolvenzen in der Logistikbranche
Erschwerend kommt hinzu, dass auch eine brancheneigene Volatilität charakteristisch für den Logistiksektor ist.
Kraftstoffpreise können schwanken, Frachtpreise hingegen noch viel mehr, was sowohl auf der Einnahmen- als auch der Ausgabenseite der betreffenden Unternehmen die Planungssicherheit erschwert.
Ein gutes Beispiel hierfür waren die niedrigen Frachtpreise im ersten Quartal des Jahres 2024, die bereits zahlreiche nationale und international tätige Logistikdienstleister unter Druck setzten.
Gleichermaßen ist die Logistikbranche maßgeblich von der generellen Konjunktur und damit auch der Wirtschafts- sowie Auftragslage anderer Unternehmen, also den Kunden, abhängig.
Läuft es bei diesen Unternehmen wirtschaftlich nicht, zum Beispiel aufgrund einer reduzierten Verbrauchernachfrage während einer Rezession, gehen gleichermaßen die Aufträge der Logistiker relativ plötzlich zurück.
Speziell die in Deutschland typischerweise wirtschaftlich starken Branchen, wie der Automobilsektor, deren Zulieferer und Unternehmen aus dem (Maschinen-)Baugewerbe, sind auch maßgeblich für die Erträge der Logistikunternehmen verantwortlich.
Geopolitische Risiken sind in der Logistikbranche ebenso dominant, wobei diese nicht ausschließlich international tätige Logistiker treffen müssen. Diese Risiken korrelieren aufseiten der Logistikunternehmen mit einem erhöhten Kapitalbedarf, der weitgehend über Fremdkapital in Form von kurz- oder langlaufenden Kreditverbindlichkeiten sichergestellt wird.
Ein durchdachtes und effektives Risikomanagement ist in der von Volatilität gekennzeichneten Branche daher zwangsläufig notwendig – allen voran mit Fokus auf ein nachhaltiges Kostenmanagement und die innerbetriebliche Liquiditätsplanung.
Logistiker sollten daher vermehrt auf Frühwarnzeichen achten:
- über mehrere Quartale oder gar Jahre anhaltend negative operative Cashflows
- zunehmende Verbindlichkeiten bei zugleich geringer oder sich weiter reduzierender Eigen- und Fremdkapitalrendite
- Liquiditätsengpässe
- Kunden- und Auftragsverluste
Zur ganzheitlichen Beurteilung ist daher zwangsläufig nötig, nicht nur das eigene Unternehmen fortlaufend zu analysieren, auch sollten derartige Frühwarnzeichen branchenübergreifend erfasst und berücksichtigt werden.
Rechtliche Grundlagen des Insolvenzverfahrens
Kommt es zur Insolvenz, folgt das Verfahren weitgehend dem von Unternehmen in anderen Branchen. Die Blaupause hierfür liefert in Deutschland die Insolvenzverordnung (kurz: InsO).
Um das Insolvenzverfahren und die Anforderungen zu verstehen, ist es für Logistikunternehmen durchaus sinnvoll, einen entsprechenden Experten hinzuzuziehen.
Die Insolvenzverordnung bietet drei valide Insolvenzformen an:
- Regelinsolvenzverfahren: Diese Variante gilt als das Standardverfahren. Der Insolvenzverwalter übernimmt in der Folge die operative Kontrolle über den Logistiker.
- Insolvenz in Eigenverwaltung: Bei dieser Variante bleibt die Geschäftsführung erhalten, jedoch wird ein neutraler Sachverwalter zu deren Überwachung abgestellt. Ziel der Eigenverwaltung ist immer, das Unternehmen über eine gezielte Sanierung wieder auf solide Beine zu stellen und fortzuführen.
- Insolvenz mit Schutzschirmverfahren: Das ist eine Sonderform der Insolvenz in Eigenverwaltung. Diese Option kann gezogen werden, sofern das Unternehmen noch nicht zahlungsunfähig geworden ist, zeitnah aber eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht.
Einige branchenspezifische Umstände sind in der Welt der Logistik aber zu berücksichtigen, auf die noch weiter eingegangen werden.
Wie sieht der Ablauf bei Insolvenzen aus?
Das Insolvenzverfahren unterteilt sich in mehrere Schritte und beginnt mit der eigentlichen Antragstellung. Ab Zahlungsunfähigkeit haben die Unternehmen laut der InsO drei Wochen Zeit dafür. Nachfolgend wird beim klassischen Regelinsolvenzverfahren ein vorläufiger Insolvenzverwalter vom zuständigen Insolvenzgericht einberufen. Speziell bei Logistikunternehmen wird normalerweise darauf geachtet, dass der Insolvenzverwalter entsprechende Kenntnisse und Erfahrungswerte in der Branche vorweisen kann.
Zu Beginn des Verfahrens gilt es erste wichtige Maßnahmen zu ergreifen, um weitere wirtschaftliche Schäden abzuwenden. Vermögenswerte (Fuhrpark oder Logistikzentren) werden erfasst und gesichert, laufende Verträge sowie das Auftragsbuch gesichtet und geprüft. Die Finanzlage ist in ihrer Ganzheit zu analysieren, des Weiteren wird ein Liquiditätsplan erstellt. Anhand der bis dato gewonnenen Erkenntnisse ist anschließend zu entscheiden, ob für das Unternehmen keine realistische Hoffnung mehr besteht, dann ist eine Abwicklung einzuleiten, oder ob eine Sanierung und anschließende Fortführung stattdessen sinnvoll sind.
Der Insolvenzverwalter ist währenddessen verpflichtet, ein Insolvenzgutachten zu erstellen, ebenso wie er Sanierungsmöglichkeiten zumindest prüfen muss. Währenddessen hat der Insolvenzverwalter das Recht, das Unternehmen operativ mitsamt allen einzelnen Facetten zu lenken. Speziell in der Logistikbranche steht die Verwertung von signifikanten Vermögensgegenständen stets im Fokus, auch sind ganzheitliche Auswirkungen auf die Lieferketten der Auftraggeber zu berücksichtigen.
Gläubiger haben im Zuge dessen die Möglichkeiten, ihre Forderungen innerhalb der vom Gericht festgelegten Frist anzumelden, die der Insolvenzverwalter anschließend sondiert. Bei besonders großen Unternehmen können auch Gläubigerausschüsse gebildet werden, damit die Gläubiger selbst Einfluss auf die Zielsetzung und finalen Entscheidungen nehmen können – wobei das letzte Wort natürlich nicht bei den Gläubigern selbst liegt.
Strategien zur Fortführung und Sanierung in der Logistikbranche
Die hohe Volatilität im Logistiksektor ist zwar generell als Nachteil zu verstehen, kann bei einer etwaigen Betriebsfortführung aber auch ein indirekter Vorteil sein.
Wenn die Beteiligten zu dem Schluss kommen, dass lediglich die hohe Volatilität, in diesem Fall in Form einer Schwächephase, für die Schieflage verantwortlich ist. Dann besteht mitunter die valide Hoffnung, dass sich die betriebswirtschaftliche Situation zeitnah und nach Umsetzung von Maßnahmen wieder verbessern könnte.
Die sich daraus ableitenden Sanierungsansätze sind vielfältig:
- Im Eigenverwaltungsverfahren kann die Geschäftsführung ihr Wissen sowie das eigene Netzwerk weiterhin einsetzen, um schnell entsprechend der Situation geeignete Entscheidungen zur Verbesserung der Geschäftslage zu treffen.
- Immer im Fokus stehen Kostensenkungen, zum Beispiel durch eine Fuhrparkreduzierung und Verkaufserlöse oder durch Neu- und Nachverhandlungen mit Kunden.
- Effizienzsteigerungen sind ebenso zu berücksichtigen, allen voran, wenn selektiv einzelne Prozesse noch nicht digitalisiert, automatisiert oder anderweitig effizienter gestaltet wurden.
Alternativ dazu könnte sich das Logistikunternehmen auch verkleinern, indem es beispielsweise unprofitable Geschäftsbereiche verkauft oder stilllegt und sich fortan auf profitable Unternehmenszweige konzentriert. Personalmaßnahmen, allen voran Kündigungen, sind im Zuge dessen natürlich ebenso zu berücksichtigen. Strategische Partnerschaften oder Fusionierungen gehören als Option ebenfalls bedacht, wobei die Ausgangslage dafür zunächst natürlich nicht optimal ist. Dennoch könnten andere Unternehmen Interesse zeigen.
Herausforderungen bei der Liquidation und Verwertung von Assets
Einer Verwertung muss zunächst eine ad hoc Wertermittlung vorausgehen. Hierbei sind bereits gravierende Unterschiede zwischen letztmals erfassten Buchwerten und aktuell realistischen Marktpreisen denkbar. Speziell der Wert des Fuhrparks kann entsprechend den Gebrauchtwagenpreisen für derartige Spezialfahrzeuge erheblich schwanken.
Werden Fahrzeuge lediglich geleast, stellt der Leasingvertrag mitsamt seinen Bedingungen eine Herausforderung dar. Selbiges gilt für die genutzten Immobilien, wobei hier die Hürde eher darin liegt, zeitnah liquide Kaufinteressenten oder Nachmieter (bei langlaufenden Mietverträgen) zu identifizieren.
Eine große Herausforderung ist die Handhabung der Warenbestände. Schnell verderbliche Waren müssen zeitnah verwertet werden, zudem gehört separat die Kundenware in ihrer Ganzheit berücksichtigt.
Dabei ist auch zu bedenken, welche dieser Waren zurückgegeben werden müssen und ob eventuell ein vertragliches Pfandrecht, wie es für Spediteure nicht ungewöhnlich ist, besteht. Das wiederum kann die Verwertung zusätzlich erschweren.
All diese Herausforderungen müssen unter Berücksichtigung eines weiteren wichtigen Punkts stattfinden: Die übertragene Ware sollte typischerweise weiterhin bewegt werden, denn anderenfalls sind noch weitaus höhere Wertverluste denkbar.
Folglich versuchen Insolvenzverwalter deshalb auch, zumindest noch laufende Verträge und Dienstleistungen wie vertraglich vereinbart abzuwickeln, um größere finanzielle Schäden zu vermeiden.
Die Logistikbranche ist ein betriebswirtschaftliches Unikat und setzt ein vorausschauendes Handeln voraus
Zu welchen Verwerfungen es kommen kann, sobald nationale und globale Lieferketten zusammenbrechen, verdeutlichte erst jüngst die Corona-Pandemie. Die Insolvenz eines einzelnen Logistikunternehmens wird zwar keine derart weitreichenden Konsequenzen mitbringen, diese finden aber mindestens innerhalb des eigenen Vakuums zwischen Logistiker, seinen Geschäftspartnern sowie Kunden und den Gläubigern statt. Sowohl Geschäftspartner als auch Gläubiger müssen mit finanziellen Verlusten rechnen und gegebenenfalls Verträge neu verhandeln – mindestens dann, wenn als Alternative nur ein Totalverlust im Raum steht.
Für die Logistikunternehmen selbst gilt es indes verstärkt auf Frühwarnzeichen und potenzielle innerbetriebliche Risiken zu achten. Sinnvoll ist dahingehend auch eine nachhaltige Diversifikation. Diese lässt sich realisieren, indem beispielsweise die eigenen Geschäftspartner aus unterschiedlichen, nicht wirtschaftlich miteinander korrelierenden Branchen stammen. Auch eine geografische Diversifikation ist durchaus sinnvoll, um einzelne aktuell schwächelnde Volkswirtschaften ausgleichen zu können. Ebenso könnten Logistikunternehmen komplexe Hedging-Modelle nutzen, um sich gegen stark volatile Frachtraten abzusichern.